Heute beginnt die eigentliche Arbeit; 18 Kilometer auf und ab über steile Bergkämme. Ich gehe mit offenen Augen daran. Ich habe meinen Freund, den Stock, bei mir, also gehe ich nie allein. Laut Überlieferung tragen alle Pilger einen Stock, der eigentlich Kobo Daishi darstellt, den Pilger-Mönch und Gründer der buddhistischen Shingon-Sekte. Pilger, die man in ganz Japan antreffen kann, tragen weiße Kleidung, einen Stock und eine weiße Tasche mit der Aufschrift: zu zweit unterwegs.
Da ich weiß, dass ich langsam gehe und unterwegs vieles tun muss, um die Kami zufrieden zu stellen, verlasse ich absichtlich als Letzter das Hotel. Der Raum hinter mir gibt mir Ruhe. Und welch Glück! Das Wetter ist herrlich. Ich gehe langsam den ersten Hang hinauf und genieße die springenden Kirsch- und Pfirsichblüten, die Düfte von junger Kamille und Geißblatt, die hier wild wachsen. Ich schaue zu den meterhohen Zypressen auf, die hier stamm an stamm den Wald füllen.
Vor einem weiteren Schrein hängt ein horizontal geflochtenes Stück Seil, an dem weiße, zickzackförmige Fähnchen hängen, das Zeichen, dass wir es hier mit heiligem Boden zu tun haben, auf dem eine Kami wohnt. Die Kami kann man anrufen, indem man an einer Glocke rüttelt und dann zweimal in die Hände klatscht. Die Kami weiß dann, dass man da ist. Man verneigt sich einmal tief und wendet sich mit seinen Gebeten, Wünschen oder Fragen an die Kami.
Wie an jedem wichtigen Schrein sehe ich hier auch ein Stempelhäuschen. Hier darf ich einen Stempel in mein speziell dafür mitgebrachtes Stempelsammelheft oder Chuin Cho setzen. Ähnlich wie bei der Elf-Städtefahrt oder dem Camino nach Santiago sind diese Stempel der Beweis dafür, dass man den Weg tatsächlich zurückgelegt hat. Ich stempel mit der mitgelieferten roten Tinte einen runden Stempel in mein Heft und gehe fröhlich weiter.