Der Sohn des Hauses bereitet Tee zu. Er sitzt auf seinen Knien auf einer Bambusmatte und stellt den Wasserkocher an, der neben ihm steht. Auf einem niedrigen traditionellen hellen Holztisch vor ihm stehen sechs kleine Tonteller bereit, um eingegossen zu werden. Mit einer gewissen Eleganz und Genauigkeit gießt er das heiße Wasser in eine celadonfarbene Teekanne und wartet. Er trägt eine weite hellgraue Baumwollhose und ein makelloses weißes T-Shirt. Seine nackten Füße sind gerade sichtbar unter seinen Oberschenkeln. Mit langsamen Bewegungen gießt er kurz darauf den hellgrünen Tee in die Schalen und reicht diese Stück für Stück mit beiden Händen weiter. Wir kennen uns nicht, und das ist die Regel, dass man respektvoll etwas mit beiden Händen reicht und es auch mit beiden Händen annimmt.
Das Hanok Haus seiner Familie Choi ist um einen Innenhof gebaut. In der Mitte stehen gepflegte Bäumchen und Sträucher, umgeben von lila und gelben Blumen. Er sitzt in dem großen offenen Raum, der in direkter Verbindung nach draußen steht, es gibt keine Tür, es ist eigentlich mehr eine offene Plattform, die als Wohnzimmer dient. An der Wand stehen traditionelle niedrige Holzregale, auf denen Bücher, Fläschchen, Teller und koreanisches Kunsthandwerk liegen. Die Wäsche hängt an einem Gestell zum Trocknen im selben Raum. Er lebt hier. Mitten im hypermodernen Korea. Neben diesem Raum befinden sich zwei kleinere Räume, die mit schön gearbeiteten hellen Holzläden abgeschlossen werden. Der Rahmen ist mit handgeschöpftem Papier beklebt, wie man es auch in Japan sieht. Die Läden öffnen sich nicht von links nach rechts, sondern von unten nach oben. Sie hängen an Metallringen von der Decke. Das ist wiederum eine typisch koreanische Lösung, wie ich lerne. Auf der anderen Seite befinden sich die Schlafräume. Kleine abschließbare Räume ohne Möbel. Der Boden ist mit einem typisch koreanischen hellbraunen Bodenbelag bedeckt, der an Klebeband erinnert, das auf den Boden geklebt ist. Hier schläft man auf dicken gefüllten Decken, die als Matratze dienen. An den mit Papier beklebten Wänden hängen zwei wunderschöne Schriftrollen in hansa, chinesische Kalligrafie.
Links vom großen Wohnraum befindet sich der Vorratsraum mit dem Brunnen. Hier schöpft man immer noch das Wasser aus dem Brunnen für den täglichen Gebrauch. Direkt dahinter steht ein kleines Häuschen. Es ist der konfuzianistische Altar für die Ahnen der Familie Choi. Noch immer werden jährlich rituelle Opfergaben an die Ahnen dargebracht, die über diesen Altar geehrt werden. Ahnenverehrung ist in Korea lebendig und findet hier Ausdruck. Rechts vom Wohnraum liegen die Schlafräume der Familie. Es ist ein geschmackvolles, reines, einfaches und zugleich lebendiges Ensemble. Ich würde gerne eine Nacht dort verbringen. Man isst dann gemeinsam mit der Familie im großen Wohnraum, was für sich genommen schon eine schöne Erfahrung sein muss. Ein Aufenthalt in einem Hanok ist nicht günstig. Das liegt daran, dass durch die japanische Invasion schrecklich vieles zerstört wurde und auch die Koreaner selbst die alten, unbequemen Häuser lange Zeit nicht zu schätzen wussten. So sind in den letzten 50 Jahren etwa 70.000 Hanoks dem Erdboden gleichgemacht worden und es gibt nur noch etwa 10.000.
Glücklicherweise beginnt man, diese traditionelle Architektur wieder zu schätzen, und daher sieht man nun, dass Hanoks durch Renovierungen wieder zum Leben erweckt werden, um Wohnraum, Restaurants oder Hanok-Stays daraus zu machen.
Christel, Juni 2016